5. März 2017
Die Geheimnisse des Aikido
Es wird oft gesagt, dass Aikido die mentale Stärke trainiert, Aikido ist aber auch eine Budo Disziplin, eine Kampfkunst. Aikido ist eine Verschmelzung des Geistes mit kämpferischen Prinzipien, der Einklang zwischen körperlicher und geistiger Kraft. Es löst eine aggressive oder gar tödliche Auseinandersetzung friedlich. Der Konflikt wird beendet, ohne dass der Angreifer noch der Angegriffene Schaden nehmen oder verletzt werden. O-Sensei, der Begründer des Aikido, beschreibt Aikido als Kunst, welche einen Angriff in eine friedliche Schlichtung überführt. Angreifer und Verteidiger verschmelzen mit einer überraschenden, unvermittelten Harmonie, welche die Gewalt unschädlich macht. Der Verteidiger hat die Wahl, entweder eine zerstörerische oder friedvolle Kraft einzusetzen, um seinen eigenen Bewegungsraum zu verteidigen. Wenn die grundlegenden Prinzipien des Aikido verstanden sind und der eigene Körper sie verinnerlicht hat, dann sind zerstörerische Kraft oder Verletzung zur Abwehr des Gegners nicht notwendig.
Wie kann dies im Training umgesetzt werden? Die Antwort zu dieser Frage ist komplex und bisweilen schwer begreiflich. Am besten begegnet man dieser Frage, um zu einem tieferen Verständnis zu gelangen, mit Überlegungen mit welcher inneren Einstellung ein Aikidoka sein Training angeht. Um das innere Zusammenwirken dieser geheimnisvollen Kunst zu entdecken, muss man auf der Matte vollkommen aufmerksam sein. Der Aikidoka muss mit vollem Einsatz üben. Wenn der Aikidoka die Matte betritt, betritt er sie mit der Einstellung, als gehe es um Leben oder Tod. Der Aikidoka muss mit einer Ernsthaftigkeit trainieren als ob sein Leben davon abhängen würde. Er muss aufmerksam verfolgen, was verbal und nonverbal unterrichtet wird. Hikitsushi Sensei hat oft gesagt: „Ein Aikidoka muss stets aufmerksam sein.“ Die Japaner nennen diese Aufmerksamkeit und Weise zu trainieren „Shin Ken Sho Bu“, das sich als „tot ernstes Training“ übersetzen lässt. „Gefahr ist sehr unbehaglich, es schärft aber die Sinne.“ Wenn wir Furcht in gegenwärtige Aufmerksamkeit kanalisieren, dann erweitert sich dergegenwärtige Augenblick. Das „Jetzt“ wird unermesslich, vollkommen lebendig. In diesem Verständnis erklärt O-Sensei „Ich bin das Universum, alle Möglichkeiten sind darin verborgen.“ Was bedeutet das nun für das alltägliche Aikidotraining?
Wer seinem Training mit Ernsthaftigkeit und Engagement entgegentritt, hat die Möglichkeit zu sehen und zu fühlen, wie sich der Körper auf eine Weise bewegt, die nicht anders, aber doch geerdeter ist – standhaft und wachsam. Realisiert wird dies, indem man die verschiedenen Aikidotechniken am Partner anwendet oder dessen Technik empfängt – im direkten Gegenüber. Zauber und Schönheit dieser Trainingserfahrung treten zu Tage, sobald der Schüler beginnt, sich auf die vier wesentlichen Bestandteile zu konzentrieren und diese zu verinnerlichen, welche von Meister Yoshimitsu Yamada, 8. Dan Shihan, beschrieben werden: Körperhaltung, Balance, Körperpositionierung und Maai (Distanz). Wenn diese grundlegenden Elemente verstanden und durch das Aikidotraining verinnerlicht wurden, wird es möglich, einen aggressiven Angriff friedlich zu entschärfen. Diese vier Prinzipien müssen in einem unmittelbaren Augenblick zusammenwirken, dem Bruchteil einer Sekunde – wie im Fokus eines Lasers. Dieses Zusammentreffen der Prinzipien ermöglich nicht nur eine effektive Anwendung der Technik, sondern auch das Anpassen einer Technik an veränderte Umstände. O-Sensei erläutert: „Aikidotechniken verändern sich fortlaufend, da Veränderung und Anpassung Kernbestandteil des Aikido sind.“ Es ist die Vereinigung dieser vier Prinzipien, was die Aikidotechniken vielfältig macht, magisch erscheinen lässt und dem Aikidoka erlaubt, im Augenblick des Konflikts zu handeln und diesen aufzulösen .
O-Sensei sprach oft vom Konzept des „inryoku no tanren“ – die „anziehende Kraft“ zu formen. Die Kraft, jemanden in die eigene Bewegung hineinzuziehen und zu neutralisieren. Anstatt die Bewegung des Angreifers lediglich abzulenken, wird dieser in das Zentrum der Bewegung des Aikidokas geführt. Dem Kampf ausweichend leitet der Aikidoka den Angreifer in eine bessere Richtung um – den eventuell tödlichen Konflikt entschäfend. Aikidotechniken können sehr niederschmetternd und zerstörend sein, allerdings muss die Bewegungsentscheidung nicht in der Verletzung des Angreifers enden. Um dies zu ermöglichen ist es essenziell, dass der Aikidoka mit der geistigen Einstellung von „Shin Ken Sho Bu“ trainiert. Aus dieser Haltung heraus können die vier Grundprinzipien des Aikido – Haltung, Balance, Körperpositionierung und Maai – zusammenkommen und Geist und Energie von „inryoku“ entstehen lassen, was eine positive, dynamische Reaktion des Aikidokas in einer Konfliktsituation ermöglicht – sowohl auf der Matte als auch im alltäglichen Leben. Aufgabe und Ziel von Aikido ist laut O-Sensei Menschen in Freundschaft und Harmonie zusammenzubringen. Wir laden Euch ein, vorbeizukommen und die wundervolle Kunst zu erleben, die wir Aikido nennen.
David J. Ross, 4th Dan, Shidoin, Certified United States Aikido Federation / Sansuikai Instructor
Übersetzung aus dem Englischen:
Gabi Bixel, 3. Dan, Fukushidoin, Certified USAF / Sansuikai Instructor & Katharina Ritter, 3. Kyu